Ulrich Pleitgen

1942 – 2018

Im Jahr 1994 fand sich ein fast 16jähriger, der das Bestreben hatte, einmal etwas in Richtung Journalismus zu machen, in Achim am Drehort von „Nicht von schlechten Eltern” ein. Eigentlich hatte ich darauf gehofft, erst mal mit jemandem in meinem Alter sprechen zu können, aber letztlich war Ulrich Pleitgen der erste, mit dem ich sprach. Es war eine Drehpause, wir saßen vor draußen vor dem Küchenfenster, Ulrich Pleitgen natürlich mit Zigaretten in Reichweite (es waren die 90er, da haben viele geraucht bis zum geht-nicht-mehr) und er nahm sich Zeit für mich.

Ich habe noch Jahre später an diese Begegnung gedacht und mich manches Mal gefragt, wieviel Überwindung es Ulrich Pleitgen gekostet haben muss, mit einem völlig unvorbereiteten Jungspund wie mir zu sprechen. Aber ich vermute: Keine. Ulrich Pleitgen war vielleicht auch deswegen eine ideale Besetzung für die Rolle des Wolfgang Schefer, weil sich gar nicht sonderlich verbiegen musste. Er konnte in vielen Dingen einfach er selbst sein. Es war meine erste Begegnung mit einem der Schauspieler, und ich persönlich betrachte das als einen Glücksfall – weil er mir somit ein wenig von der Scheu nahm, diesen großen Leuten gegenüberzutreten.

Ulrich Pleitgen, 1993 – Klick zum Vergrößern

Ulrich Pleitgen, 1993
Bild: M+K

Ulrich Pleitgen wurde am 1. November 1946 in Hannover geboren, verbrachte aber einen großen Teil seines Lebens in Hamburg – was man sofort hörte, wenn er den Mund aufmachte. Die 1970er Jahre verbrachte er am Theater in verschiedenen Städten – Berlin, Frankfurt und Stuttgart gehört dazu. Von 1980 bis 1989 spielte er am Thalia Theater in Hamburg. 1981 stand er zum ersten Mal für den Film „Das Haus im Park" unter der Regie von Aribert Weis vor der Kamera. Bereits seine zweite Filmrolle – 1986 als Richter Theodor Prinzing in „Stammheim” (Regie: Reinhard Hauff) war nicht frei von Diskussionen, lag der „Deutsche Herbst” doch zu diesem Zeitpunkt noch keine zehn Jahre zurück. Der Film gewann einen goldenen Bären, und Pleitgen wurde in den folgenden Jahren mit diesem Film verbunden (und traf dort zum ersten Mal auf Holger Mahlich, den er zehn Jahre später für die 3. Staffel von NvsE wiedertreffen sollte – auch Michael Schönborn war mit dabei). Im Jahr 1984 wurde er als „Schauspieler des Jahres” von Theater heute gekürt.

Bereits 1985 hatte er seine erste Rolle in einer Fernsehserie, nämlich „Kein schöner Land” unter der Regie von Klaus Emmerich. Anders als manch anderer Schauspieler war Ulrich Pleitgen sich nicht zu fein, auch in Serienrollen zu schlüpfen. Davon sollten noch viele folgen: „Eurocops”, mehrere „Tatort”-Auftritte, „Das Amt” und natürlich NvsE. Wolfgang „Käpt'n Hook” Schefer, der manchmal etwas bärbeißige, manchmal etwas überforderte Familienvater, der es mit seinem Stützpunkt leichter hat als mit einer Familie (solange seine Mutter nicht bei der Marine mitmischt).

Und natürlich immer wieder Filme. Einige fürs Kino, viele fürs Fernsehen. Mir persönlich sind zwei davon in Erinnerung geblieben: Der Film „Großmutters Courage” (1994, Regie: Karin Hercher) war für NvsE-Fans natürlich Pflichtprogramm, weil neben Ulrich Pleitgen auch noch Paul Frielinghaus mitspielte (der Film entstand zum 85. Geburtstag von Inge Meysel, mit ihr in der Hauptrolle). Ich fand den Film damals toll, was sicher mit an Ulrich Pleitgen und Paul Frielinghaus lag. Daneben gab es noch „Leben in Angst” von 1997 (Regie: Dagmar Damek), der ganz anders war: In diesem Zweiteiler spielte Pleitgen einen Arzt, der nicht nur verheiratet war, sondern nebenbei auch noch einen Liebhaber hatte – der war Anfang 20 und somit nicht viel älter als sein eigener (Film-)Sohn. Ein eher düsterer Film, aber auch diese Rolle beherrschte Pleitgen. Und 1997 war so eine Rolle noch mit einem gewissen Risiko verbunden.

Solche Dinge hörte man über den Privatmann Ulrich Pleitgen nicht. Der war zwar auch in zweiter Ehe verheiratet, aber das bereits seit 1981. Ulrich Pleitgen war jemand, der nicht öffentlich von sich reden machte. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an seinen (unfreiwilligen) Auftritt bei „Verstehen Sie Spaß?” im Jahr 1997: Verschiedene Interviews waren umgeschnitten worden und Pleitgen, in dem Glauben, dass das gezeigte Programm tatsächlich eine Liveausstrahlung war, fand deutliche Worte. So etwas würde heute vermutlich einen handfesten Skandal auslösen, aber hinter vorgehaltener Hand hätten viele andere genauso reagiert – um so größer natürlich die Erleichterung, als sich herausstellte, dass alles nur erfunden war. Dass er selbst letztlich der Ausstrahlung zugestimmt hat, zeigte mir wiederum, dass er dazu stand, wie er als Mensch war. Er engagierte sich – wie auch Sabine Postel – jahrelang beim Zentrum für trauernde Kinder e.V. und später als Pate in der Björn-Steiger-Stiftung.

Ab 2004 drehte er – mit krankheitsbedingter Unterbrechung 2006 – die Serie „Familie Dr. Kleist” bis 2011. Auch war er immer wieder in „K3 – Kripo Hamburg” zu sehen. Daneben sprach er zahlreiche Hörspiele, für „Assassini” von Thomas Gifford bekam er 2005 eine „Goldene Schallplatte” und 2016 noch eine weitere für „Die Nadel” von Ken Follett. Von 2003 bis 2009 lieh er außerdem dem Schriftsteller Edgar Allen Poe in der gleichnamigen Hörspielreihe seine markante Stimme.

Ulrich Pleitgen starb am 21. Februar 2018 in seiner Wahlheimat Hamburg an Herzversagen.

Berlin, im Februar 2018
Heiko Reddingius

(Anmerkung: In der ersten Version des Nachrufs wurde, wie bis dahin bekannt, „1946” als Geburtsjahr angegeben. Mit dem Erscheinen von Ulrich Pleitgens Biographie stellte sich diese Angabe als fehlerhaft heraus und wurde daher zu „1942” korrigiert.

Zuletzt geändert: 29.12.2023, 07:29